Claudia Roth: Wie sich die Grünen der deutschen Geschichte entledigen wollen - WELT (2024)

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Claudia Roth steht wieder einmal in der Kritik. Nach dem Skandal um antisemitische Kunstwerke auf der Documenta und ihrem Schweigen zu israelfeindlichen Reden bei der Berlinale haben ihr die deutschen Gedenkstättenleiter jetzt eine „Verharmlosung der NS-Verbrechen“ vorgehalten. Anlass ist ein Rahmenkonzept Erinnerungskultur, das die Beauftragte für Kultur und Medien im Februar vorübergehend auf ihre Website stellte. Das als Entwurf gekennzeichnete Papier soll die aktuelle Gedenkstättenkonzeption des Bundes ersetzen.

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Roths Pläne haben nicht nur bei den Gedenkstättenleitern Entsetzen ausgelöst. Auch Medien, die den Grünen sonst wohlgesonnen sind, übten scharfe Kritik. Tatsächlich zeichnet sich das Konzept nicht nur durch eine für ein Kulturministerium ungewöhnlich dürftige Sprache aus. Alarmierend ist vor allem der Inhalt: Die Grünen-Politikerin will der Bundesrepublik ein neues Geschichtsbild verordnen.

Bereits im Februar hatte Roth in einem Zeitungsbeitrag verkündet, dass Deutschland eine neue Erinnerungspolitik brauche. Dem Papier zufolge kann diese „ihre zukunftsgestaltende Kraft nur entfalten, wenn sie nicht nur als Mahnung, sondern als gesellschaftlicher Gestaltungsauftrag verstanden wird.“ Ein zeitgemäßes Erinnerungskonzept müsse daher auch den Kampf um die Demokratie in Deutschland in den Blick nehmen. Es müsse, so heißt es in kaum verständlichem Deutsch, „die Verschiedenheit individueller und kollektiver Erinnerungen als formative Elemente demokratischer Gleichheit und künftiger gemeinsamer Erinnerungen gerade in einer Einwanderungsgesellschaft wertschätzen.“

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Hinter diesen Forderungen, so ist dem Papier zu entnehmen, verbergen sich gleich mehrere Paradigmenwechsel: Erstmals erhebt ein Mitglied der Bundesregierung den Anspruch zu entscheiden, woran in Deutschland erinnert werden soll. Dies steht im schroffen Gegensatz zur Kompetenzverteilung im Grundgesetz, nach der Gedenkstätten Ländersache sind. Aus diesem Grund wird im bislang geltenden Konzept mehrfach betont, dass grundsätzlich Länder und Kommunen dafür zuständig seien. Der Bund wolle lediglich „dazu beitragen, geeignete Rahmenbedingungen“ zu schaffen. Frühere Bundesregierungen haben sich außerdem dazu bekannt, den „dezentralen und pluralen Charakter“ der Erinnerungskultur zu festigen und „die Unabhängigkeit der Gedenkstätten von politischen Weisungen“ zu respektieren.

Dass der Bund bei diesem Thema überhaupt in Erscheinung tritt, ist nur der deutschen Wiedervereinigung geschuldet. Nach dem Ende der DDR erklärte sich die Bundesregierung nämlich bereit, die neuen Länder bei der Neugestaltung ihrer Gedenkstätten vorübergehend zu unterstützen. Die so geweckten Begehrlichkeiten veranlassten sie 1999 zu erklären, dass sie bei Gedenkstätten von nationaler Bedeutung bis zu 50 Prozent der Kosten dauerhaft übernehme. Zu diesem Zweck verabschiedete der Bundestag eine Konzeption, die 2008 fortgeschrieben wurde. Roths Papier formuliert dagegen erstmals einen erinnerungspolitischen Gestaltungsanspruch des Zentralstaates.

Bunte Mischung multikultureller Narrative

Ein zweiter Richtungswechsel besteht darin, die Erinnerungspolitik für tagespolitische Zwecke zu benutzen. „Wir alle müssen demokratiegefährdenden Strömungen entgegentreten und unsere freiheitliche demokratische Grundordnung schützen,“ heißt es in dem Papier. In Zukunft will Roth deshalb auch an Gruppen erinnern, die sich für Demokratie, Teilhabe und gegen Rassismus einsetzen. Im bisherigen Gedenkstättenkonzept wird dagegen betont: „Fundament der Erinnerung sind die historischen Fakten und ihre wissenschaftliche Erforschung.“ Auf keinen Fall sollten Gedenkstätten wie in der DDR für politische Propaganda missbraucht werden.

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Der dritte Richtungswechsel verbirgt sich hinter dem programmatischen Begriff der „Einwanderungsgesellschaft“. Während Gedenkstätten darüber sinnieren, wie sie Millionen Migranten die Einsichten der Deutschen aus Nationalsozialismus und Kommunismus nahebringen sollen, will Roth den umgekehrten Weg gehen: Ziel sei es, „aus den vielen verschiedenen Erfahrungen, Perspektiven und historischen Erinnerungen heraus ein gemeinsames Erinnern in die Zukunft unserer Gesellschaft möglich zu machen.“ Im Klartext: Die deutsche Erinnerungskultur soll in einer bunten Mischung multikultureller Narrative aufgelöst werden.

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Seit Roth Ende 2021 ihr Amt als Kulturstaatsministerin angetreten hat, arbeitet sie zielstrebig daran, diese neue Erinnerungspolitik in die Praxis umzusetzen. Für ein „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ in Köln stellte sie bereits mehr als 22 Millionen Euro bereit. In ihrem Papier kündigt sie zudem an, ein virtuelles Archiv zu rechter Gewalt zu schaffen. Sie berichtet darin auch von einem riesigen Dokumentationszentrum für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), das ihre Kabinettskollegin Nancy Faeser plant. Sie selbst will für die Opfer des europäischen und deutschen Kolonialismus einen Erinnerungsort in Berlin schaffen und weitere „kulturelle Leuchtturmprojekte“ dazu fördern.

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Diese inflationäre Ausweitung der Förderzwecke ist es denn auch, die die Gedenkstättenleiter zu dem Urteil veranlasst haben, dass Roths Papier „als geschichts-revisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen“ verstanden werden könne. Die epochalen Staatsverbrechen von Nationalsozialismus und Kommunismus würden relativiert, wenn man sie mit allen möglichen anderen Themen auf eine Stufe stellt. Gleichzeitig müssten die Mittel auf immer mehr Empfänger aufgeteilt werden.

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Bedenklicher ist allerdings noch etwas anderes: Werden die Sichtweisen der Migranten, wie von Roth geplant, Teil der deutschen Erinnerungskultur, hätte dies vermutlich weitreichende Folgen. Wie man heute schon an deutschen Schulen und Universitäten beobachten kann, stünde dann zum Beispiel nicht mehr der Holocaust im Zentrum der Erinnerung, sondern womöglich der vermeintliche Genozid an den Palästinensern. Auch zum Sowjetkommunismus haben die vielfach linksradikalen Anti-Kolonialisten ein anderes Verhältnis als ehemalige DDR-Bürger. Bafta Sarbo, Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, mit der Roths Behörde in diesen Fragen zusammenarbeitet, ist zum Beispiel bekennende Marxistin, die sogar Lenin etwas abgewinnen kann.

Beim Thema DDR hat Roth allerdings bereits selber einen Paradigmenwechsel vorgenommen. Die jahrzehntelange kommunistische Diktatur wird in ihrem Konzept nur unter der Überschrift „Deutsche Teilung / Deutsche Einheit“ abgehandelt. Dort wird dann behauptet, dass neben die Geschichte von Repression, Widerstand und Friedlicher Revolution „zunehmend eine kritische Reflexion der Transformationszeit“ nach der Wiedervereinigung getreten sei. Auch die anfängliche Konzentration auf eine Geschichte von Tätern und Opfern und die Tätigkeit der Stasi sei einer „differenzierten Auseinandersetzung mit dem Leben in der SED-Diktatur gewichen.“ So ähnlich würde es vermutlich auch die Linkspartei formulieren.

All dies hat die Gedenkstättenleiter zu dem Schluss gebracht, die Mängel in Roths Konzept seien so gravierend, dass der Entwurf „nicht weiter verfolgt werden sollte.“ Der ursprüngliche Plan, das Papier im Mai in den Bundestag zu bringen, ist deshalb vom Tisch. Stattdessen hat die Grünen-Politikerin für Anfang Mai zu einem Runden Tisch eingeladen.

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Dass Roth dabei von dem umstrittenen Vorhaben abrückt, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Das Papier soll direkt aus der Amtsspitze stammen und Selbstkritik gehörte bislang nicht zu Roths Stärken. Die anberaumten Gespräche halten viele Beteiligte deshalb für Show-Veranstaltungen. Tatsächlich will Roth, wie eine Sprecherin auf Anfrage erklärt, weiterhin im Herbst „eine aktualisierte, zukunftsfähige Gedenkstättenkonzeption“ vorlegen. Dann könnte nur noch die FDP verhindern, dass sich Deutschland auf Betreiben einer grünen Staatsministerin seiner eigenen Geschichte entledigt.

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